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Rückblick
Kulturtreff Alter Bahnhof, Neulussheim, 2017
Mit jedem Bild eintauchen in eigene Gedankenketten
24. April 2017 Autor: Matthias H. Werner (mhw)
NEULUSSHEIM. Anfang des 20. Jahrhunderts brachen einige Künstler
mit den Grundprinzipien, die in der abendländischen Malerei bis dahin
gewachsen waren: Sie entfernten sich so weit von der Gegenständlichkeit,
dass der Bezug zu realen Objekten, der vorher als Dreh- und Angelpunkt
alles künstlerischen Schaffens gedient hatte, vollständig aufgelöst war.
Das breite Publikum, aber auch ein Teil der ernsthaften Kritik,
reagierte zunächst mit großem Unverständnis und
sprach den abstrakten Künstlern neben dem handwerklichen Können
auch jegliche künstlerische Begabung ab.
Inzwischen hat sich die Kunstströmung als ein Beispiel für
objektgewordene Ausdrucksmöglichkeit etabliert, wenngleich sie sich
nach wie vor immer einer gewissen Polemik erwehren muss, die im
lapidaren Satz gipfelt: „Das könnte ich auch“.
„Eben nicht“, ist man geneigt zu entgegnen, nachdem man das Werk der
in Stuttgart geborenen Künstlerin Cornelia Komor rezipiert hat. Am
Wochenende stellte die smarte Frau, die in Ladenburg ein Atelier betreibt,
ihre Bilder im Alten Bahnhof aus.
Bereits die gut besuchte Vernissage am Freitagabend (musikalische
Umrahmung: Jörg Christoph Beyerlin, Klavier) machte die Polarisierung
deutlich, die abstrakte Kunst nach wie vor auslöst.
Farben erleichtern den Zugang
Der „Kunstpapst“ der Gemeinde, Wolfgang Treiber, hat durchaus Mut
gezeigt, diesem Genre in seinem Haus Platz zu bieten, er hat aber vor
allem einmal mehr eine gute Hand bei der Auswahl bewiesen – Komor
stellte sowohl wertvolle als auch den Laien begeisternde Bilder aus, die
den Zugang durch eine extreme Betonung von ansprechenden, lebhaften
Farben und den Einsatz vergleichsweise einfacher Kompositionselemente erleichtern.
Das allerdings nur auf den ersten Blick. Ihre oft langwierigen
Schaffensprozesse erfordern nicht selten den angestrengten Blick in die
Tiefe, aus der sich ein zuvor angefangenes und später übermaltes Bild
mit leisem Flüstern heraushebt. Sie verlangen trotz der unbändigen Kraft,
die aus den Bildern – die meisten davon in kräftigem Rot oder markantem
Grün gehalten – herauszubrodeln scheint, Momente der Ruhe und der
Selbstbesinnung, um einen Blick in diese Tiefe zu erhaschen.
Dass dabei jeder Betrachter von anderen Assoziationen geleitet werden
mag, die ihre Gemeinsamkeit aber doch in der Macht des Esprits, der aus
den Bildern spricht, finden, ist ein Teil des Geheimnisses der in Augsburg
ausgebildeten Künstlerin, die in ihrem zweiten Leben als
Werbedesignerin arbeitet.
Bild als sinnlicher Erfahrungsquell
Exemplarisch sei das Bild „Hoffnung“ genannt, in dem ein rot dominierter
Farbraum nach oben horizontal abgetrennt wird, um Sphären
aufeinandertreffen zu lassen, nur angedeutet abgegrenzt durch lebhafte,
hingeworfene Linien. Ein jeder davon durch Farbtropfen und hart
geschnittene, gespachtelte Strukturen belebt und durchwoben – ein
sinnlicher Erfahrungsquell und ein optischer Dauerbrenner.
Jedes Bild Cornelia Komors ist eine Einladung, einzutauchen und zu
entdecken, sich in ganz subjektiven Gedankenketten einzufinden in die
Bilder, die sich letztlich schnell als Ausdruck der Seele der Künstlerin
offenbaren.
Was es dazu braucht, sind Offenheit, die Bereitschaft, sich nicht zu
Was es dazu braucht, sind Offenheit, die Bereitschaft, sich nicht zu
neuen Gegenständlichkeiten verleiten zu lassen und die unbedingte
Hingabe, nichts im Bild zu „sehen“, sondern alles darin zu „erfahren“.
© Schwetzinger Zeitung, Montag, 24.04.2017